Die Süßstoffe, unsere Darmflora und das Immunsystem:
Sind Zuckerersatzstoffe schädlich?
Können sie Autoimmunerkrankungen begünstigen?

Von Ernährungsberaterin Dr. Verena Geurden

Die Frage, ob Süßstoffe ungesund sind, beschäftigt uns immer wieder. In den letzten Jahren gab es viele Hinweise darauf, dass die Zuckerersatzstoffe schädlich für die Darmflora – immerhin das Zentrum unseres Immunsystems – sein könnten. Stimmt das wohl? Wir fassen zusammen, was sich wissenschaftlich fundiert sagen lässt und geben Tipps für ein gesundes Mikrobiom.

Süß von Anfang an

Wir Menschen mögen es süß. Das macht aus evolutionärer Sicht Sinn, denn die Süße zeigt uns, dass das Lebensmittel unserer Wahl schnell verwertbare Energie in Form von Zucker enthält. Über Jahrtausende sicherte dies unser Überleben, und Zucker ist per se nicht schädlich. Entscheidend ist die Dosis. Heute, da uns an jeder Ecke zuckerhaltige Lebensmittel entgegenlachen, ist die Vorliebe für Süßes daher ein Nachteil. Denn übermäßiger Zuckerkonsum steht in direktem Zusammenhang mit der Entwicklung eines zu hohen Körpergewichts, Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Karies und bestimmten Krebserkrankungen (2).

Naturjohurt fürs Mikrobiom

Naturjoghurt mit Früchten – doppelt günstig fürs Mikrobiom

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, weniger als 10% der gesamten Kalorienaufnahme am Tag in Form von freien Zuckern aufzunehmen (3). Bei einem durchschnittlichen Energieverbrauch von ca. 2.000 kcal am Tag entspricht das maximal 50 g. Das steckt z.B. schon in einem Becher Fruchtjoghurt, einem Glas Orangensaft und einem Milchbrötchen mit zwei Teelöffeln Marmelade und vier kleinen Stücken Schokolade dazu. Unter freien Zuckern, einer Gruppe der Kohlenhydrate, versteht man dabei Zuckerbausteine, die im Gegensatz zu komplexen Kohlenhydraten (wie z.B. in Vollkornprodukten enthalten) schnell vom Körper aufgenommen werden. Sie werden dem Lebensmittel oder Getränk vorwiegend als normaler Haushaltszucker (Saccharose), Fruchtzucker (Fructose) oder Traubenzucker (Glukose) zugesetzt, sind aber auch in natürlichen Lebensmitteln und Getränken wie Honig, Agavendicksaft, Sirupen und Fruchtsäften zu finden (4).

Um den Zuckerkonsum einzuschränken, haben sich viele andere Süßungsmittel etabliert, zum einen die Zuckeraustauschstoffe, zum anderen die Süßstoffe. Zuckeraustauschstoffe wie Sorbit oder Xylit haben den Vorteil, keine negativen Auswirkungen auf die Zähne zu haben, liefern aber im Gegensatz zu den Süßstoffen Kalorien, und in größeren Mengen verzehrt können sie Durchfälle verursachen. Süßstoffe hingegen, um die es hier gehen soll, werden vom Körper größtenteils nicht resorbiert und liefern damit auch keine Energie. Das macht sie besonders beliebt bei Menschen, die abnehmen, aber nicht auf den Süßgeschmack verzichten wollen. Die bekanntesten Vertreter sind hier Acesulfam K, Aspartam, Cyclamat, Saccharin und Steviolglycoside (der Extrakt des Steviakrauts), die in Lebensmitteln und Getränken oft auch kombiniert eingesetzt werden (5).

Was machen die Süßstoffe mit der Darmflora?

Süßstoffe verändern die Darmflora

Süßstoffe verändern die Darmflora

Mittlerweile ist bekannt, dass Süßstoffe die Eigenschaften bestimmter Bakterien im Darm verändern können. Die Darmflora (auch intestinale Mikrobiota oder Mikrobiom genannt) variiert stark in ihrer Zusammensetzung, je nachdem in welchen Abschnitt des Magen-Darm-Trakts man hineinschaut, und ist abhängig von zahlreichen Faktoren. Ein Forscherteam stellte die Vermutung auf, dass das individuelle Mikrobiom auch dadurch beeinflusst wird, welche Zucker und Süßungsmittel in die verschiedenen Darmabschnitte gelangen: Die Zusammensetzung der Darmflora bildet also quasi unsere Essgewohnheiten ab (6). Experimente an Nagern und Zellkulturen zeigten, dass die gesunde Vielfalt an Darmbakterien mit dem Konsum von Süßstoffen abnahm (9, 10, 11, 12). Die Darmflora reagiert auf Zufuhr von Süßstoffen also mit einer veränderten Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft – man nennt das Dysbiose.

Weiter entwickelten z.B. Mäuse, die mit Saccharin gefüttert wurden, eine Störung in der Zuckerverwertung (Glucoseintoleranz, ein Vorbote des Diabetes). Ähnliche Wirkungen zeigten sich auch bei Menschen, die Saccharin über eine Woche konsumierten (8). Süßstoffe verändern also auch den Stoffwechsel der Darmbakterien. Und beides, sowohl die veränderte Zusammensetzung des Mikrobioms als auch die Beeinflussung ihres Stoffwechsels kann gesundheitliche Folgen nach sich ziehen (7).

Forscher der Universität Cambridge untersuchten im Labor die Wirkung der drei häufig eingesetzten Süßstoffe Saccharin, Sucralose und Aspartam auf gesunde Darmbakterien (nicht direkt im Menschen, sondern an Zellen, die in einer Schale mit einem Nährmedium kultiviert wurden). Die Experimente deuten darauf hin, dass Darmbakterien nach Aufnahme der Süßstoffe in der Lage sind, die Schutzschicht der Darmwand zu durchdringen. Wenn die eigentlich nützlichen Darmbakterien ihren vorgesehenen Lebensraum, den Darm, verlassen, können sie der Gesundheit schaden, indem sie z.B. Infektionen hervorrufen (12).

Die Darmflora und Autoimmunerkrankungen

Darmflora pflegen

Eine passende Ernährung wirkt Autoimmunerkrankungen entgegen

Unsere Darmflora besteht aus ca. einem Kilo Bakterien. Deren Stoffwechselprodukte regulieren nicht nur unsere Verdauung, sondern auch unser Immunsystem. Da sich ein Großteil der Immunzellen im Darm befindet, ist der Zusammenhang zwischen Zuckerersatzstoffen, den beschriebenen Darmfloraveränderungen und Folgen für das Immunsystem naheliegend und wird bezüglich Autoimmunerkrankungen inzwischen vermehrt erforscht.
Als gesichert gilt, dass Gene, Geschlecht, Schwangerschaften und unsere Ernährung die Entstehung bestimmter Autoimmunerkrankungen begünstigt oder eben nicht. Vermutet wird nun, dass diese Wirkung – zumindest zum Teil – über die durch Genetik, Geschlecht oder Ernährung bedingte unterschiedliche Zusammensetzung und Aktivität der Darmflora entsteht (14). Die Erkrankung mit dem am stärksten erforschten Zusammenhang zur Dysbiose ist die Adipositas (Fettleibigkeit). Aber auch für bestimmte Autoimmunerkrankungen wie die rheumatoide Arthritis (14, 16) und Psoriasis (17, 18, 19, 20) konnte gezeigt werden, dass ihre Entstehung mit einer dysbiotischen, sprich veränderten Darmflora zusammenhängt (14).

Der Einsatz von Süßstoffen muss in der Gesamtheit betrachtet werden: Es mag sinnvoll sein, sie einzusetzen, um das Risiko für Erkrankungen aufgrund von zu hohem Zuckerverzehr wie z.B. Diabetes mellitus Typ 2 und Herz-Kreislauf-Problemen zu reduzieren. Dagegen abzuwägen sind jedoch die beschriebenen negativen Gesundheitsauswirkungen. Eine klare Empfehlung kann man nicht aussprechen, da viele Zusammenhänge und Mechanismen derzeit noch nicht verstanden sind. Am besten für Ihre Gesundheit wäre es, generell weniger süß zu essen und sowohl Zucker als auch Süßstoffe einzusparen. Ein kompletter Verzicht ist dabei nicht nötig. Gehen Sie Ihren alltäglichen Zucker- und Süßstoffquellen einmal auf die Spur. Achten Sie dabei auch auf versteckten Zucker, z.B. in Fruchtjoghurt und Ketchup. Versuchen Sie, die Süße schrittweise zu reduzieren: So lässt sich Kaffee auch erst mal nur mit einem statt zwei Löffeln Zucker trinken, Naturjoghurt mit etwas frischem Obst statt eines Fruchtjoghurts essen und die Saftschorle nur mit einem kleinen Schuss Saft, dafür aber viel Mineralwasser zubereiten. Schon nach kurzer Zeit verändert sich das Geschmacksempfinden, und das Verlangen nach Süß lässt deutlich nach.

Ernährungstipps für eine gesunde Darmflora

Wer nun etwas Gutes für Darmflora und Immunsystem tun möchte, kann über die Ernährung viel erreichen. Besonders wichtig sind die präbiotischen Ballaststoffe. Diese Faserstoffe finden sich vor allem in Vollkorngetreide, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten, Nüssen und Saaten und liefern den gesunden Darmbakterien ausreichend Futter. Weil sie im Verdauungstrakt aufquellen, helfen sie gegen Darmträgheit. Regelmäßige Portionen Vollkorngetreide über den Tag verteilt (z.B. Haferflocken im Müsli, Vollkornbrot, Vollkornnudeln und -reis), drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst am Tag, ein- bis zweimal die Woche ein Gericht mit Hülsenfrüchten (gerne auch häufiger), Nüsse pur oder z.B. im Müsli sowie Saaten im Brot schmecken dem Darm. In Gemüse, Obst und Nüssen stecken zudem viele Polyphenole, die ein gesundes Mikrobiom unterstützen.

Omega-3 für die Darmflora

Hochwertiges, ergiebiges Omega-3: Lyprinol®

Auch Probiotika, also gesunde Bakterien, die sich im Darm ansiedeln können, fördern die Darmgesundheit. Insbesondere Milchsäurebakterien sind dafür geeignet. Sie sind in großen Mengen in fermentierten Lebensmitteln wie Naturjoghurt, Kefir und Sauerkraut enthalten und sollten regelmäßig auf dem Speiseplan stehen. Über den sparsamen Einsatz von Zucker haben wir schon gehört, aber auch mit dem Fett ist Vorsicht angezeigt. Hier kommt es auf die richtige Auswahl an: Omega-3-Fettsäuren fördern eine vielfältige Bakteriengemeinschaft. Große Mengen davon stecken in Raps-, Lein- und Walnussöl sowie fetten Seefischen wie Hering, Makrele und Lachs. Eine sehr gute Quelle für Omega-3-Fettsäuren sind außerdem ausgewählte Fettsäurepräparate (z.B. Lyprinol®).

Sie können selbst also viel dafür tun, dass Ihr Darm sich wohlfühlt: Wichtig ist dabei allerdings, dass die Ernährungsstrategien regelmäßig umgesetzt werden. Nur so kann die Bakterienvielfalt langfristig beibehalten werden.

Dr. Verena Geurden Dr. Verena Geurden

Unsere Gastbloggerin Verena Geurden ist promovierte Ernährungswissenschaftlerin und arbeitet als Ernährungsberaterin und freie Fachjournalistin. Persönlich erreichen Sie Dr. oec. troph. Verena Geurden in ihrer Praxis für Ernährungsberatung und -therapie in Bedburg: www.ernaehrung-geurden.de
Oder aber Sie treffen sie beim Yoga oder bei Spaziergängen mit ihrem Hund, die unternimmt sie nämlich, wenn sie nicht gerade Ernährungspläne entwickelt, beim Abnehmen motiviert, sich weiterbildet oder Blogartikel schreibt.

Quellen:
(1) Presseinformation DGE aktuell 23/2018 vom 20.12.2018, 
(2) World Health Organization (Hg.) (2015) Guideline: sugars intake for adults and children. Genf
(3) Ernst JB et al. (2018) für Deutsche Adipositas-Gesellschaft, Deutsche Diabetes Gesellschaft und Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Quantitative Empfehlung zur Zuckerzufuhr in Deutschland. Bonn
(4) Knies JM (2018) ErnährungsUmschau 08/2018, Zuckeraustauschstoffe und Süßstoffe – Teil 1
(5) Di Rienzi SC, Britton RA (2019) Adaptation of the gut microbiota to modern dietary sugars and sweeteners. Adv Nutr. 11:616–29.doi: 10.1093/advances/nmz118
(6) Moriconi E et al. (2020) Neuroendocrine and Metabolic Effects of Low-Calorie and Non-Calorie Sweeteners. Front. Endocrinol. 11:444. doi: 10.3389/fendo.2020.00444
(7) Suez J et al. (2014) Artificial sweeteners induce glucose intolerance by altering the gut microbiota. Nature 514:181–6. doi: 10.1038/nature13793
(8) Anderson RL, Kirkland JJ (1980). The effect of sodium saccharin in the diet on caecal microflora. Food Cosmet toxicol. 18:353–5. doi: 10.1016/0015-6264(80)90188-1
(9) Pfeffer M et al. (1985) Acesulfame K, cyclamate and saccharin inhibit the anaerobic fermentation of glucose by intestinal bacteria. ZErnahrungswiss. 24:231–5. doi: 10.1007/BF02023668
(10) Petersen C, Round JL (2014) Defining dysbiosis and its influence on host immunity and disease. Cell Microbiol. 16:1024–33. doi: 10.1111/cmi.12308
(11) Shil A, Chichger H (2021) Artificial Sweeteners Negatively Regulate Pathogenic Characteristics of Two Model Gut Bacteria, E. coli and E. faecalis. Int. J. Mol. Sci., 22, 5228. ttps://doi.org/10.3390/ijms22105228
(12) Lützner N et al. (2015) Die mikrobielle Darmflora und unser Immunsystem E&M – Ernährung und Medizin. 30: 151 – 155
(13) Shamriz O et al. (2016) Microbiota at the crossroads of autoimmunity, Autoimmunity Reviews 15 859–869
(14) Brusca SB et al. (2014) Microbiome and mucosal inflammation as extraarticular triggers for rheumatoid arthritis and autoimmunity. Curr Opin Rheumatol 26:101–7.
(15) Gomez A et al. (2015) The gut microbiome in autoimmunity: sex matters. Clin Immunol 
159(2):154-62. doi: 10.1016/j.clim.2015.04.016
(16) Yan D et al. (2017) The Role of the Skin and Gut Microbiome in Psoriatic Disease. Curr Dermatol Rep 2017; 6: 94-103 [PMID: 28804689 DOI:10.1007/s13671-017-0178-5]
(17) Alekseyenko AV et al. (2013) Community differentiation of the cutaneous microbiota in psoriasis. Microbiome 1:31
(18) Fry L et al. (2013) Is chronic plaque psoriasis triggered by microbiota in the skin? Br J Dermatol;169:47–52; 
(19) Fry L et al. (2015) Psoriasis is not an autoimmune disease? Exp Dermatol 24:241–4